Was wird aus der Betriebsfallstudie? Forschungsstrategische Herausforderungen durch Entgrenzung von Arbeit und Betrieb
Sarah Nies, Dieter Sauer
Zusammenfassung
Wohl kaum eine Forschungsstrategie hat die Arbeits- und Industriesoziologie über die Jahre so geprägt wie die Betriebsfallstudie. Schon in der Gründungsphase der Disziplin war die am Einzelbetrieb orientierte Fallstudienforschung nicht nur das vorherrschende empirische Verfahren, sondern schien auch die logische methodische Konsequenz der zentralen Forschungsfragen dieser Zeit. Auch am ISF München hat sich ein spezifischer, theoriegeleiteter Zugang der Fallstudienforschung entwickelt, der sich vor allem durch einen auch theoretisch begründeten Fokus auf den Betrieb (über das theoretische Konzept des Betriebsansatzes) und durch die zentrale Stellung des Vermittlungsproblems von Empirie und Theorie auszeichnete. Die theoretische Konzeption des Betriebsansatzes bot dabei die Grundlage für analytische Kategorien, anhand derer auf der konkreten empirischen Ebene – im Betrieb – gesamtgesellschaftliche Entwicklungen identifiziert und interpretiert werden sollten. Gegenwärtige Tendenzen der Entwicklung von Arbeit stellen die Fallstudie als Forschungsstrategie vor neue Herausforderungen: Angsichts der Auflösung betrieblicher Außengrenzen in Folge von Dezentralisierung, Vernetzung und Globalisierung und der Tendenzen einer Subjektivierung von Arbeit, die die fordistische Grenzziehung zwischen Arbeitskraft und Person durchlässig werden lassen, stösst das auf den Einzelbetrieb fokussiertes Fallstudienkonzept an seine Grenzen. Am Beispiel der früheren und der aktuellen Fallstudienpraxis am ISF München geht der Beitrag diesen Herausforderungen und den forschungsstrategischen Bewältigungsversuchen nach und stellt die Frage nach der Zukunft kritischer Fallstudienforschung.
Title (english)
Abstract (english)
The enterprise case study may have been the most dominant research strategy in sociology of work and industry in the last decades. Even in the founding stage of the discipline, case study research focused upon a single enterprise was the prevailing empirical research practice, and it also appeared as a logical and methodological consequence of the central research issues of that time. At the ISF Munich, a specific theory-guided approach of case study research has developed, characterized most notably by a special focus on enterprise (based upon the theoretical concept of the „enterprise approach“) and on the problem of mediation between theory and practice. The concept of the enterprise approach offered a theoretical foundation for analytical categories which allowed for an identification and interpretation of general social developments upon a concrete empirical level, namely the enterprise. Current tendencies of the development of work are posing new challenges for case studies as a research strategy: by the dissolution of external boundaries of enterprises due to decentralization, networking and globalization, a case study concept focused upon a single enterprise is pushed to its limits. The same is true for tendencies of subjectivation of work that amount to a dissolution of the fordist boundaries between workforce and person. This contribution investigates these challenges and certain coping strategies, using the development of the case study research practice at the ISF Munich as an example, and discusses the future of this research strategy.