Artikel in AIS-Studien Jahrgang 7, Heft-Nr. 2 (2014)

Governance von Arbeit im deutschen Erwerbssystem: Alte, neue oder keine Normalitäten?

Irene Dingeldey, André Holtrup, Günter Warsewa

Zusammenfassung

Seit dem Ende der Industriegesellschaft lastet auf Unternehmen, Arbeitsmärkten, Sozialversicherungssystemen, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Deutschland ein anhaltend starker Veränderungsdruck; sie werden in hohem Tempo reformiert, modernisiert und ,umgebaut‘. Die Organisation von Arbeit wird verstärkt an die Erfordernisse der Märkte angepasst, neue Segmente prekärer Beschäftigung entstehen, aber gleichzeitig wachsen in vielen Bereichen auch die Handlungsspielräume und die Ansprüche der ArbeitnehmerInnen. Der Beitrag analysiert den Wandel insbesondere unter dem Gesichtspunkt von institutionellen Reformprozessen und den darauf bezogenen Reaktionen gesellschaftlicher Akteure. In Anlehnung an institutionentheoretische Konzepte werden für das deutsche Erwerbssystem vor allem unzureichende institutionelle Anpassungen an gesellschaftlichen Wandel (Drift) und Anlagerungen ,neuer‘ an bestehende Institutionen (Layering) diagnostiziert; gemeinsam fügen sich diese Muster in eine Dynamik der Dezentralisierung von Regulierungs- und Entscheidungskompetenzen. Die reflexiven Reaktionen kollektiver und individueller Akteure wirken sich in Prozessen der Einkapselung traditioneller Beschäftigungsmuster, der Re-Organisation von Machtkonstellationen oder der Kompensation zusätzlicher Belastungen aus. Die sozialen Konsequenzen folgen einer Logik der bipolaren Heterogenisierung, d.h. neben dem fortbestehenden, aber schrumpfenden Kern der Erwerbsbevölkerung, dessen Lebenszusammenhänge weiterhin durch Normalarbeitsverhältnis, Normalfamilie und Normalbiographie bestimmt sind, entwickelt sich eine wachsende Divergenz von einerseits privilegierten, andererseits prekarisierten Lebensverhältnissen. Die Verteilung auf diese verschiedenen Segmente scheint dabei vor allem vom Bildungsstatus und der Familienform abzuhängen.

Title (english)

Governance of labour in the German employment system: old, new or no normalities at all?

Abstract (english)

Since the end of the industrial era, a pressure to change weighs heavily on companies, labour markets, social systems, working and employment conditions. The German system of labour organization and regulation experiences a lasting sequence of rapid reforms and modernisations. Labour organization becomes increasingly adopted to the requirements of labour markets, and new segments of precarious employment emerge. At the same time, the scope of action and the claims of many employees are expanding. These processes are examined under the aspect of institutional change and resulting reactions of different actors. Firstly, the dynamics of the german labour system are characterized by either insufficient adjustment to societal changes or by appending some new elements to traditional institutions. Both of these processes blend in to the decentralisation of competences and liability for decision making and regulation. Secondly, reflexive reactions of collective and individual actors result in encapsulation of segments of traditional employment, in an ongoing reconfiguration of power relations or in a compensation of additional risks and burdens. The social consequences of these changes in the labour system, thirdly, generate a tendency towards a bipolar heterogeneity: Beyond the persisting, but shrinking, segment of groups with employment patterns characterized by ,traditional normality‘, the labour system brings about an increasing divergence of privileged on the one hand and precarious living conditions on the other hand. The allocation of individuals to these segments by the mechanisms of the labour system seems to depend mainly on the educational status and the family constellation.

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